Extrem-Schifahrer Hannes Pichler. Der Berg ruft

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  • Hannes Pichler im Porträt

Hannes Pichler. Schitouren und Medizin

Text: Reinhard A. Sudy

Fotos: Hannes Pichler,

 

Als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist Hannes Pichler im Rottenmanner LKH besonders um Mütter und deren Babies in einem besonderen Lebensabschnitt bemüht. Als experimentierfreudiger Schi-Bergsteiger und Buchautor sind ihm kreative, selten oder noch nie befahrene Extrem-Schitouren ein Anliegen.

 

Bergsteigen und Fotografie

„Soweit es der Beruf zuließ, gingen unsere Eltern an den Wochenenden mit uns Kindern wandern. Uns machte es Spaß und wir sammelten mit Begeisterung Wandernadeln und Abzeichen“ schildert Hannes Pichler den noch gemütlichen, frühen Anfang einer wachsenden sportlichen Leidenschaft. Klettern ist heute nach wie vor sein Haupt-Hobby und er fotografiert gerne, hauptsächlich auf Tour, gelegentlich aber auch Porträt-Fotos. Hannes Pichler führt seine Begeisterung fürs Bergsteigen auf seinen Großvater väterlicherseits zurück, der als Pensionist noch zum Kletterer wurde. Der einstige Bergknappe hatte als mit 65 Jahren ältester Teilnehmer einen Kletterkurs besucht. Mit einer alten Filmkamera begann er dann, Bergfilme zu drehen, die er mit Volksmusik vertonte und seinen Enkelkindern vorführte. Diese waren fasziniert: „Es hat uns schon wahnsinnig beeindruckt, als er mit 67 Jahren seine Dachstein-Südwand-Besteigung selbst filmte, und uns bei gemeinsamen Wanderungen die ersten Kletterschritte und das Anlegen eines Klettergurtes zeigte“. Schritt für Schritt begann der junge Hannes Pichler, anfangs über Kurse beim Alpenverein, mit dem Klettern und Schifahren und war bald soweit, dass er auch selbständig in den Bergen unterwegs sein konnte. Mit 18 Jahren wurde er nach Chamonix zu einer Tagung der UIAA (Union Internationale des Associations d’Alpinisme), einer internationalen Vereinigung von Alpinistenverbänden, mitgenommen, bei der erfahrene Experten aus der ganzen Welt über Sicherheits-Standards für den Bergsport diskutierten. „Die eindrucksvollen Touren in Chamonix haben mich sicher auch geprägt“ ist der hoch aufgeschossene, schlanke Bergsportler überzeugt, der - meist mit seiner Lebensgefährtin Sabine, gelegentlich aber auch solo oder gemeinsam mit seinem Bruder - auf Berg- und Schitouren unterwegs und vom Reiz neuer, extremer Schitouren fasziniert ist, die er vor allem in Mitteleuropa (Österreich, Italien, Slowenien und der Schweiz) gemacht hat. Bergsteigerisch war er auch außerhalb Europas im kalifornischen Yosemite und in Peru unterwegs.

 

Medizinstudium, das wär‘s!

Bei dem früh geweckten Interesse an Wanderungen, Bergsteigen und Schitouren wundert es eigentlich nicht, dass Hannes Pichler zuerst an der Wiener Universität für Bodenkultur mit dem Schwerpunkt Wildbach- und Lawinenverbauung zu studieren begann. Seine Erfahrungen als Kind mit den Nacht- und Wochenend-Diensten seines Vaters, damals Internist am LKH Bruck, sprachen eher gegen ein Medizinstudium, und als er 18 war, hatte sein Vater ihm vom Medizin-Studium abgeraten. Dennoch wechselte er drei Jahre später an die Medizinische Universität Wien. „Ich dachte mir eigentlich schon mit 18 Jahren: Medizinstudium, das wär‘s! Mein Vater hat nach vielen Jahren als Spitalsarzt eine Allgemein-Praxis in St. Stefan ob Leoben übernommen. Meine Mutter hat er im Krankenhaus kennen gelernt, wo sie als Diplomierte Krankenschwester gearbeitet hat“ erzählt Hannes Pichler über seine medizinisch-pflegerisch geprägte Familie. „Meine Mutter blieb nach meiner Geburt und der meiner beiden jüngeren Geschwister zu Hause, bis meine Schwester zweieinhalb Jahre alt war. Dann begann sie in der Praxis meines Vater zu arbeiten.“ Sein Bruder ist heute Pflegedienstleiter am Unfallkrankenhaus Kalwang, seine Schwester arbeitet als OP-Schwester im LKH Graz.

 

Frauenarzt im LKH Rottenmann

Nach dem ersten Studienabschnitt ging es von Wien an die Medizinische Universität Graz. „Ich wäre nach meinem Studium für alle Fächer offen gewesen“ erinnert sich Hannes Pichler, „habe aber knapp vor Abschluss meiner Turnusärzte-Ausbildung das Angebot für eine Facharzt-Ausbildungsstelle an der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des LKH Leoben erhalten.“ Nach vier Jahren am LKH Leoben schloss Hannes Pichler seine Facharzt-Ausbildung an der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des LKH Rottenmann ab. Hier schätzt Oberarzt Pichler als Leiter der Pränataldiagnostischen und Geburtshilflichen Ambulanz und Stellvertreter von Primarius Peter W. Klug die große Eigenverantwortung seiner Arbeit. Wesentliche Vorteile eines kleineren Spitals liegen für den Ersten Oberarzt in der sehr persönlichen Betreuung der Patientinnen und in der raschen und persönlichen Kommunikation mit den Kollegen anderer Abteilungen, manches Mal auch beim Mittagessen. Man kennt einander gut. Und um die Reise-Belastung klein zu halten, fährt er seit drei Jahren mit seinem Auto von Graz nach St. Michael, stellt es dort unmittelbar vor dem Bahnhof ab und weiter geht es ganz entspannt mit dem Zug nach Rottenmann. „Das spart nicht nur Nerven, sondern auch Geld“ erzählt Hannes Pichler, der gerade den Universitätslehrgang für Führungskräfte im Gesundheitssystem absolviert. Da muss die Zeit für Familie und Hobby gut eingeteilt werden. Da die beiden Kinder Magdalena und Felix aus seiner ersten Ehe, drei und fünf Jahre alt, sich wunderbar mit den neun- und elf-jährigen Kindern Jakob und Johannes seiner Lebensgefährtin vertragen, werden freie Wochenenden und Urlaube häufig gemeinsam verbracht: „Dann wird das Auto für alle sechs schon sehr eng“ lacht Hannes Pichler, der auch heute nichts anderes als Medizin studieren würde, obgleich ihn die Physiotherapie auch sehr interessiert.

 

Dem Lawinentod entkommen

Trotz aller Erfahrungen und Vorsicht kann es zu Verletzungen und kritischen, ja lebensgefährlichen Situationen kommen. Der heute 43 jährige Oberarzt und Bergfan zögert kurz: „Gefährliche Situationen habe ich schon erlebt, wo sich Begleiter verletzt haben; das hat mich noch vorsichtiger gemacht. Ich selbst blieb bisher Gott sei Dank verletzungsfrei.“Dramatisch war ein Lawinenunfall im Gebiet des Bösensteins, bei dem Hannes Pichler gemeinsam mit seinen vier Begleitern verschüttet wurde. Zwei der Verunglückten, darunter Hannes Pichler, konnten sich rasch selbst aus den Schneemassen befreien. „Ich war zwar selbst auch vollkommen verschüttet, muss aber ganz knapp unter der Schneedecke gewesen sein, als die Lawine zum Stillstand kam“ erinnert sich Hannes Pichler sehr nachdenklich: „Aus meiner Kauerstellung heraus reichte es einmal kräftig anzudrücken, um wieder an die Oberfläche zu kommen. Wir haben dann die Bergrettung verständigt, konnten die anderen drei aber ausgraben, bevor die Bergrettung eintraf. Einer war zwar nur teilweise verschüttet gewesen, aber so vom Schnee ‚einbetoniert‘, dass er sich nicht bewegen oder gar selbst befreien konnte. Die beiden anderen konnten wir mit Hilfe des LVS-Gerätes (Lawinenverschütteten-Suchgerät) auch finden und noch rechtzeitig ausgraben“ erinnert er sich.Unmittelbar danach hat Hannes Pichler natürlich mit Schitouren weitergemacht: „Aber mit einem ungeheuren Respekt, der bis heute geblieben ist. Ich bin noch viel vorsichtiger geworden und habe mich intensiv weitergebildet.“ Damals erst hat sich - zu den analytischen Methoden der Lawinenwarndienste - eine neue Lawinenkunde entwickelt, die mit Hilfe einer Reduktionsmethode das persönliche Risiko auf einer Schitour einzuschätzen versucht. Wenn Hannes Pichler heute allein unterwegs ist, hat er nicht nur sein LVS-Gerät bei sich, sondern auch einen zwei bis drei Kilogramm schweren Lawinen-Airbag. Der soll helfen, bei einem Lawinenunfall nicht verschüttet zu werden, sondern an der Oberfläche zu bleiben. „Doch bei aller Vorsicht bleibt immer ein Restrisiko“ ist sich der extreme Schitourengeher bewusst.

Guide für Neues und Extremes

„Mit meinem Bruder, der ein ziemlicher Draufgänger ist, habe ich mich oft schon beim Anmarsch durch die Berglandschaft zu klassischen, bekannten Schitouren nach neuen lohnenden Anstiegen und Abfahrten umgesehen und diese ausprobiert. Einmal meinte er, wir sollten unsere Touren und Erfahrungen in einem Buch zusammenfassen“, erinnert sich Hannes Pichler. Etwa zwei Jahre vor dem dann geplanten Erscheinungstermin eines Führers über extreme und auch unbekannte Schitouren im Dezember 2012 hat sich diese Idee so richtig entwickelt. „Ich habe da bereits 23 Jahre Erfahrung mit Schitouren jeder Art gehabt und quasi eine Bestandsaufnahme von klassischen und extremen Routen gemacht“ schildert er die Vorbereitungsarbeiten. Seine von Beginn an gemachten Fotos und Aufzeichnungen, z. B. über Steilheit, Exponiertheit oder Sicherheitsrisiken von Routen, erleichterten die Arbeit sehr. „Wir - mein Bruder Michael und sein Jugendfreund Peter, mit denen ich viel geklettert und Schi gefahren bin -  haben ausführlich zu recherchieren begonnen, in Expertenkreisen rumgefragt und sind zwei Winter lang viele der Routen nochmals begangen und abgefahren, die wir beschreiben. Einige davon waren nicht einmal den Experten bekannt“. Entstanden ist ein Guide für risikofreudige Steilhang-Spezialisten und Normaltourengeher, der Steilwände und Normalanstiege auf 78 Gipfel in der Steiermark, in Salzburg und Niederösterreich beschreibt: Unter den insgesamt 156 detailliert beschriebenen Touren sind fast vergessene oder noch nie publizierte Anstiege und Abfahrten und 87 schwarz bewertete, extreme Routen. Für alle gibt es hilfreiche Übersichtsbilder der Steilhänge und Rinnen, Landkarten mit eingezeichneten Linien für den Aufstieg bzw. die Abfahrt und ein ausgeweitetes Schwierigkeits-Bewertungssystem (skitechnische Schwierigkeit, alpinistisches Können, Risiko jeder Steilwand-Befahrung). Da die für Extremrouten wichtigen Schneeverhältnisse und Wetterbedingungen nicht an jedem Tourentag gut sind, werden natürlich auch leichtere Skitouren auf die gleichen Gipfel und risikoärmere Abfahrtsvarianten beschrieben.

 

Tourentipps und Träume

„Von den extremeren Schitouren macht mir die Reichenstein-Nordost-Rinne immer viel Spaß. Sie ist sehr schön, anspruchsvoll, und oft liegt hier bis in den Mai hinein Schnee“ verrät Hannes Pichler. Er schätzt auch die landschaftlich sehr schön gelegene und oft lange schneebedeckte Nordseite des Großen Bösensteins in den Rottenmanner Tauern. Einmal die Eiger Westflanke zu befahren ist sein eigener sportlicher Traum. Und für eine zweite Auflage des Buches, mit dem Schwerpunkt Steiermark und neuen Abfahrten, hätte der begeisterte Schi-Bergsteiger Hannes Pichler bereits Ideen.

 

Stand: Dezember 2013.

Gekürzt veröffentlicht: Der Berg ruft. In: AERZTE Steiermark. Das Magazin der Ärztekammer Steiermark. Ausgabe Jänner 2014. Seite 14 - 15.

Hannes Pichler. Serie: Arzt im besonderen Dienst
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