Marokko. Unterwegs im Land der Kontraste
Text und Fotos: Hanns Ulrich Schlögl
Das bereits 400.000 v. Chr. an seinen Küstenregionen besiedelte Marokko liegt zwar auf dem afrikanischen Kontinent, doch seine historische Verbindung mit Spanien und vor allem Frankreich, seine an
Abwechslungen äußerst reiche Landschaft – auf Bergketten von über 4.000 m Höhe folgen Trockensavannen im Tiefland – und nicht zuletzt seine doch sehr unterschiedlichen Klimazonen geben ihm auch
einen europäischen Anstrich.
Die Königsstädte, insbesonders Fes
Nirgends kann man besser das orientalische Lebensgefühl und somit auch den Duft von Safran, Zimt und Kümmel inhalieren als in den vier geheimnisvollen Königsstädten Rabat, Meknes, Marrakech und Fes.
Letztere kann aufgrund ihrer Größe und ihrer Originalität als die Stadt der Städte bezeichnet werden und hat sich als Weltkulturerbe einen mehrtägigen Aufenthalt verdient. Die Medina (Altstadt) mit
ihren streng nach Handwerkszweigen unterteilten Souks (Märkte) ist von so atemberaubender Unberührtheit und Zeitlosigkeit, daß man meint, um Jahrhunderte zurückversetzt worden zu sein. Hier lohnt
besonders eine nähere Erkundung des Gerberviertels. Fes ist im Gegensatz zu anderen Königsstädten – vor allem Marrakech – kein Ort des Massen- und Phototourismus. Fes will entdeckt werden. Hinter
kleinen, niedrigen, schmucklosen Türen und Mauern öffnen sich palastartige Räume, die ungläubiges Staunen und zugleich Bewunderung auslösen. Um diese Orte zu finden und auch um hartnäckige
selbsternannte „guides“ auf Distanz zu halten, sollte man sich zumindest für einen halben Tag einen professionellen Führer nehmen (ca. € 14.-).
Tanger, Casablanca und Essaouira
Wer glaubt, abseits der Königsstädte weniger interessante Metropolen und Ortschaften anzutreffen, irrt. So lockt Tanger als ehemalige internationale Stadt und Hauptanknüpfungspunkt zu Europa mit
einem einzigartigen Mix aus Romantik, Sinnlichkeit und Exotik. Mehr noch als in allen anderen Städten Marokkos gilt hier: die Wurzeln sind tief im afrikanischen Boden verzweigt, aber die Äste reichen
weit nach Europa. Die Nähe zu Spanien zeigt sich auch darin, dass in Tanger die spanische der sonst üblichen französischen Sprache als zweite Amtssprache vorgezogen wird. Casablanca, als größtes
Handels-, Finanz- und Industriezentrum, fasziniert vor allem durch das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne. Und es kann mit einer in Marokko und in weiten Teilen der restlichen
islamischen Welt unvergleichlichen Sehenswürdigkeit aufwarten: die Moschee Hassan II. Sie ist mit ihren 200m Höhe das höchste sakrale Bauwerk der Welt, nur die Moschee in Mekka ist in ihren Ausmaßen
noch größer. 25.000 Gläubige finden allein in ihrer Gebetshalle Platz, weitere 80.000 draußen auf der Esplanade. Sie ist die einzige Moschee in Marokko, die auch von Nichtmuslimen besucht werden
darf. Ein Muss für jeden Individualreisenden ist die am Antlantik gelegene ehemalige Piratenbastion Essaouira. Ihre weißgetünchten Häuser, umgeben von einer mächtigen Festungsmauer, erheben sich
majestätisch auf einer Halbinsel, die früher den Namen Mogador trug. In den 70-Jahren noch ein Hippie-Wallfahrtsort und Mekka für Musiker, später aufgrund idealer Bedingungen beliebte Anlaufstelle
vieler Surfer entwickelte sich dieses pittoreske Städtchen am Meer zu einem Ort der Künstler. Unzählige Galerien, Ateliers und Kunsthandlungen prägen das Altstadtleben. Ein Schauspiel der besonderen
Art kann man täglich am Hafen erleben, wenn die Sardinenfischerboote, eskortiert von einem Schwarm Seemöwen anlegen und unter den Händlern sogleich hektische Betriebsamkeit um den besten Fischfang
losbricht. Dies als krasser Gegensatz zu einer Stadt, die von einer Aura der Langsamkeit und Beschaulichkeit umgeben wird und der man sich bereits nach wenigen Stunden der Ankunft verbunden
fühlt.
Hammam
Ein authentisches und unverfälschtes Kulturerlebnis stellt der Besuch eines für Frauen und Männer streng getrennten lokalen Hammam (Dampfbad) dar (ca. € 2.-), welcher unbedingt mit einer Massage (ca.
€ 4.-) kombiniert werden sollte. Ratsam dabei: ein eigenes Handtuch und eine zweite Garnitur Unterwäsche bzw. Badewäsche.
Um ein wenig von der Märchenwelt von 1001 Nacht vermittelt zu bekommen, empfiehlt es sich vor allem in Fes und Marrakech anstelle eines Hotels ein riad zu beziehen. Riads befinden sich meist in der medina und sind traditionelle (Gast)Häuser mit begrünten Innenhöfen und Gärten. Vielfach werden Frühstück und Abendessen in familiärer Atmosphäre serviert. In manchen riads residiert man wie ein Sultan. Ausstattung, Service und Preise sind sehr unterschiedlich, letztere immer verhandelbar.
Von A nach B
Wer die wichtigsten Städte besichtigen möchte, braucht nicht wirklich ein eigenes Auto. Der Verkehr auf Marokkos Straßen ist für europäische Verhältnisse unübersichtlich und gefährlich, die Regelauslegung zum Teil abenteuerlich. Weitaus nervenschonender und interessanter ist die Inanspruchnahme des im Vergleich zum restlichen Afrika bestausgebauten Eisenbahnnetzes. Expresszüge verbinden alle 4 Königsstädte von Marrakech nach Fes via Casablanca. Die Züge können zeitweise sehr voll sein, Verspätungen sind üblich, aber die beeindruckende Landschaft kann so am besten genossen werden. Marrakech – Casablanca ca. 4 Std.; Casablanca – Fes ca. 6 Std. ( € 10.- bzw. € 12.-).
Eine weitaus teurere Alternative können Inlandsflüge sein, allerdings immer via Casablanca.
Ein echtes Erlebnis und daher empfehlenswert sind Busfahrten auf Überlandstrecken oder auch in der Stadt. Bei längeren Fahrten sollten allerdings staatlichen und großen privaten Busbetreibern der Vorzug gegeben werden, sonst kann die Reise endlos werden. Besonders erwähnenswert die Strecke Marrakech – Essaouira (ca. 4 Std.; € 7.-) und vor allem Essaouira – Agadir (ca. 3 ½ Std.; € 4,50.-). Auf letzterem Reiseabschnitt ändert die Landschaft in bezaubernder Weise stetig ihr Gesicht und bietet die einmalige Gelegenheit, ganze Herden von schwarzen Ziegen auf den ausschließlich in Marokko heimischen Arganien klettern zu sehen. Dieser wild wachsende Hartholzbaum dient vor allem der Ölgewinnung und als Ziegen- und Kammelfutter. 1 ½ Stunden vor Agadir schlängelt sich die Küstenstraße eng an steil abfallenden Klippen durch eine dünenartige Landschaft und gibt einen atemberaubenden Blick auf den Atlantik frei.
Tipps und Empfehlenswertes
Auskunft über die Marokkanische Eisenbahn ONCF: www.oncf.org.ma
Stand: Frühjahr 2004. Geringfügig geändert am 26. März 2012.
Veröffentlicht: Marokko, Land der Kontraste. Orientalische Exotic pur. In: Gsund. Menschen helfen Menschen. Nr. 41 März 2004. Seite 42 - 43.