Gerichtsmediziner Univ.-Prof. Dr. E. P. Leinzinger
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Veröffentlicht: LeinzingerNr. 29 März 2001 Petra Prascsaics
Der Tod gehört zu seinem Beruf. Opfer von Verbrechen, Verkehrstote und Selbstmörder beschäftigen ihn fast täglich. Doch wenn er über die ständige Konfrontation mit gewaltsamen Todesfällen spricht, wirkt er weder abgebrüht noch gelassen. „In diesem Beruf hat man Erlebnisse, die teilweise nur schwer zu verkraften sind, und auch eine dreißigjährige Berufserfahrung macht es kaum leichter“, erzählt o. Univ.-Prof. Dr. Eduard Peter Leinzinger, seit siebenundzwanzig Jahren Gerichtsmediziner und seit acht Jahren Vorstand des Gerichtlich-medizinischen Institutes an der Universität Graz. G’sund im Gespräch mit dem Mediziner über das breite Aufgabengebiet der Gerichtsmedizin und seine langjährigen Erfahrungen in diesem Fachgebiet.
„Herr Kommissar, das Opfer wurde vermutlich erwürgt. Die Hautreste unter den Fingernägeln der Frau lassen auf einen Kampf schließen. Todeszeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh“, stellt der Gerichtsmediziner etwas lapidar fest und verschwindet wieder aus dem Bild. Für alle Krimifans eine bekannte Szene. „Ganz so ist es nicht“, weiß dazu Univ.-Prof. Leinzinger, „obwohl es im Alltag manchmal noch um einiges skurriler zugeht als im Film.“
Die Aufgabe des Gerichtsmediziners beschränkt sich bei einem Verbrechen, einem Autounfall oder bei Selbstmord nicht allein auf das Feststellen der Todesursache und der Todeszeit. Vielmehr hat der Mediziner die Aufgabe, so rasch wie möglich den Tathergang zu rekonstruieren und den ermittelnden Kriminalisten noch vor den ersten Einvernahmen Informationen zu liefern. Was ist hier passiert? Wie ist es dazu gekommen? Die Gerichtsmedizin ist damit das einzige Fachgebiet der Medizin, das in die Vergangenheit blickt. „Unsere Patienten haben keine Zukunft mehr und sie können nicht mehr sprechen. Wir verhelfen den Toten zum Sprechen“, definiert Dr. Leinzinger eine seiner Aufgaben. Einsatzgebiet der Grazer Gerichtsmediziner ist nicht nur die Steiermark, sondern auch Kärnten und Teile des Burgenlandes. Dazwischen liegen jedes Jahr tausende Kilometer. An die 400 Leichen werden jährlich am Seziertisch der Grazer Gerichtsmedizin obduziert. Nicht immer sind es Mordopfer und Drogentote, die im grau verfliesten Seziersaal der Gerichtsmedizin landen. So gibt es auch immer wieder sanitäts-polizeilich angeordnete Obduktionen mit natürlichen Todesursachen.
Seelische und körperliche Belastbarkeit, kriminalistischer Spürsinn und eine ausgeprägte Phantasie sind wesentliche Voraussetzungen, um diesen Beruf erfolgreich ausüben zu können. „Der Gerichtsmediziner muss bei seiner Arbeit systematisch vorgehen und sein Tun ständig selbstkritisch hinterfragen, um möglichst nichts zu übersehen, denn nicht jeder, der am Strick hängt, hat sich auch selbst erhängt“, bringt Univ.-Prof. Eduard Peter Leinzinger das Anforderungsprofil eines Grichtsmediziners auf den Punkt.

Wie sieht nun der Alltag eines Gerichtsmediziners aus? „Der Tag beginnt oft mit einem Gerichtstermin, wo wir als Sachverständige bei Strafverfahren oder Zivilrechtsklagen unter anderem rechtlich relevante Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen nach Unfällen beurteilen oder feststellen, ob zum Beispiel eine Verletzung von einem Sturz oder einem Schlag verursacht wurde“, so Professor Leinzinger. Anschließend geht es im Laufschritt ins Institut. Dort hat der Computer das Resultat einer DNA-Analyse in einer Vaterschaftsbegutachtung ausgespuckt. Eine Untersuchung auf DNA-Basis liefert Resultate mit einer 99,9-prozentigen Wahrscheinlichkeit; das Gutachten kann danach verfasst werden.
Aus Fehlern lernen
Ein Patient ist am Operationstisch gestorben. Der Gerichtsmediziner wird gerufen, um in Zusammenarbeit mit Spezialisten die genaue Todesursache zu untersuchen. Ist der Patient eines natürlichen Todes gestorben? Liegt der Fehler beim Anästhesisten oder beim Chirurgen? Seit dreizehn Jahren sitzt Univ.-Prof. Leinzinger nun schon in der Schlichtungsstelle und hat dort die Aufgabe, von Patienten behauptete Behandlungsfehler zu untersuchen und zu beurteilen, ob diese zurecht bestehen oder nicht. „Gerade auf diesem Gebiet hat sich in den letzten Jahren beim Medizinrecht viel verändert“, so Univ.-Prof. Leinzinger. Resultat seiner langjährigen Arbeit in dieser Institution ist, dass es sich in den meisten Fällen nicht um Behandlungsfehler handelt. Fehler passieren vielmehr durch unzureichende Aufklärung oder mangelhafte Dokumentation. Um diese Fehler künftig zu vermeiden, präsentiert Prof. Leinzinger einmal im Jahr seine Untersuchungsergebnisse in der Schlichtungsstelle bei einem Ärztetreffen.

Eine weitere Säule der Gerichtsmedizin ist die Toxikologie. „Bei Vergiftungsfällen sind wir mit der modernsten Technik ausgestattet und in der Lage, genaueste Nachweisanalysen durchzuführen. So können wir zum Beispiel bei Rauschgiften nicht nur die Zusammensetzung und Dosierung feststellen, sondern auch das Herkunftsland nennen und sagen, ob der Stoff neu oder schon länger am Markt ist“, erklärt dazu Professor Leinzinger. Gerade bei Vergiftungen vermutet er jedoch die höchste Dunkelziffer. Als Vergiftungsspezialisten analysieren die Gerichtsmediziner auch Untersuchungsmaterial aus Krankenhäusern und für die Privatwirtschaft, wie zum Beispiel Trinkwasseruntersuchungen. An ein Ende des Arbeitstages ist nach acht Stunden meistens noch nicht zu denken. Der Aktenberg am Schreibtisch ist im Laufe des Tages wieder gewachsen. Die meisten Fällen sind mit einem Termin behaftet. Einen wahren Papierkrieg beschert ihm auch seine Funktion als Vorstand des Institutes und natürlich seine Lehrtätigkeit an der Universität.
Neben seiner alltäglichen Arbeit bemüht sich Professor Leinzinger auch, Kontakte zu seinen Kollegen im Ausland aufzubauen. Zum zehnten Mal jährt sich heuer das Treffen der Gerichtsmediziner aus dem „Alpen Adria Pannonia“-Raum, eine Plattform für den Erfahrungsaustausch, die Professor Leinzinger 1991 gegründet hat. Der Grazer Gerichtsmediziner konnte sich auch international einen Namen machen, wurde er doch als erster deutschsprachiger Mediziner in den Vorstand von „The World Association for Medical Law“ gewählt.
Wenn er dann nach elf oder zwölf Stunden nach Hause geht, bringt er oft seine Eindrücke mit. „Bei meinen Kindern bin ich sicher übervorsichtig und sehe viel mehr Gefahren“, so der fünffache Familienvater. Viel Freizeit bleibt dem engagierten Gerichtsmediziner nicht. Vor einigen Jahren hat Prof. Leinzinger die Jagd als entspannenden Ausgleich entdeckt, allerdings nur als „Sonntagsjäger“, wie er sich selbst bezeichnet. Und so ist es nicht immer eine dringliche Obduktion, die ihn zu früher Morgenstunde aus dem Bett holt, sondern das Naturerlebnis, „durch einen tiefverschneiten Wald im Mondlicht zu stapfen“.