Innen- und Möbeldesigner Georg Öhler
„Ich kann Objekte so richtig schätzen, wenn ich etwas darüber weiß, es verändert meine ästhetische Wahrnehmung“
Text und Interview: Hedi Grager
Fotos: Reinhard A. Sudy
Quelle: www.hedigrager.com
Die Underground-Station Elephant and Castle liegt nicht gerade in Londons schönster und sicherster Gegend, aber der 148 m hoch aufragende Strata Wohnturm in Southwark ist ein echter Grund, dorthin zu ziehen. Das dachte sich auch der aus Tirol stammende Designer Georg Oehler, der hier hoch oben in einer Maisonette-Wohnung lebt.
Ich habe mich mit Georg verabredet und als ich morgens bei ihm klingle, öffnet er mit einem freundlichen Lächeln. Unkompliziert bittet er mich einzutreten und schon nach wenigen Blicken speichere ich in Gedanken seine Wohnung gleich als meine Lieblingswohnung ab. Überall riesige Glasfronten mit sensationellen Ausblicken auf London – sogar von der Badewanne aus. Eine frei führende Treppe, tolle Möbelstücke und der wahrscheinlich größte gestrickte Lampenschirm sind wahre Blickfänge.
Von Innsbruck nach London
Georg ist in Stanz in der Tiroler Arlbergregion geboren. „In einem so kleinen ländlichen Ort geboren zu sein, prägt bis ans Lebensende“, meint er etwas nachdenklich, „je weiter ich weg bin von den Bergen, desto wichtiger werden sie für mich“. Bevor er nach London ging, lebte Georg in Innsbruck. „Nach London zu kommen, war für mich schon ein Riesenschritt, plötzlich diese Massen an Menschen, diese Hektik – und dann komme ich hier herauf in diese Wohnung und es ist fast so ruhig wie in den Bergen“, schmunzelt er. „Eigentlich ist es ähnlich wie am Berg zu sein und die Landschaft, das Panorama zu genießen“.
Faszination Architektur
„Zur Architektur kam ich eher zufällig, aber sie hat mir schon immer extrem gut gefallen. Ich bin mit meinen Eltern sehr viel gereist und es gibt Gebäude, die mich so sehr beeindruckten, dass ich sie ein Leben lang nicht vergessen habe“. Er erinnert sich daran, wie er als 10-jähriger das erste Mal auf die Akropolis sah. „Ich war so beeindruckt, ich konnte gar nicht mehr wegsehen und war inzwischen noch oft dort. Obwohl alt und riesig faszinierte mich ihre Würde und Eleganz, verschmolzen zu einem graziösen Wunderberg“. Auch von der Alhambra in Granada war er fasziniert.
Über die Architektur zum Design
Georg mag historische Architektur und ihre Geschichte. „Ich kann Objekte so richtig schätzen, wenn ich etwas darüber weiß, es verändert meine ästhetische Wahrnehmung“. Bei aller Begeisterung wurde aus Georg aber kein „klassischer“ Architekt, und da man in Österreich ohne Ziviltechnikerprüfung kein Architekturbüro eröffnen kann, entschied er sich für Innen- und Möbeldesign.
Georg ist überzeugt, dass: „Die Kompetenz, die man bei der Architektur erlernt, ist sehr vielfältig zur Lösung von gestalterischen Aufgaben. Innenarchitektur speziell ist viel freier und sie ist sehr viel näher am Benutzer dran, und das gefällt mir sehr gut. Ich mag diese Beratungstätigkeit und dieses Herantreten an den Kunden sehr gerne. Speziell im privaten Wohnbereich, wo man sich ja extrem in privaten Bereichen bewegt“. Lachend meint er: „Ich sag immer, die halbe Arbeit ist Beziehungsarbeit. Man muss sehr gut zuhören können und muss viel Empathie haben für die Probleme und Wünsche der Menschen“. Ich spüre förmlich, wieviel Freude ihm diese Arbeit macht.
Georg machte sich gleich nach seinem Studium der Architektur in Innsbruck und Madrid selbständig und war 2006 einer der Gründer des erfolgreichen österreichischen Designstudios Pudelskern. Ausstellungen in Mailand, Paris und London steigerten seinen Bekanntheitsgrad und 2013 erhielt er den Interior Innovation Award. 2011 war er Top 3 – Österreicher des Jahres.
London und Elephant Castle
Nach London zu gehen, war eine private wie berufliche Entscheidung für Georg. Sein Freund bekam ein sehr gutes Angebot in einer Londoner Anwaltskanzlei. „Ich war selbständig und konnte überall
arbeiten“. Allerdings hatte er anfangs wenig Zeit für die Stadt. „Wenn man irgendwo neu beginnt, muss man schon sehr viel Arbeit und Zeit investieren“.
Über seinen „Wohntraum“ erzählt er, dass ihn alle davon abrieten nach Elephant Castle zu siedeln. „Aber es erfüllte für uns wichtige Kriterien: es ist in der Zone 1, sehr nahe an einer U-Bahn und vor allem leistbar. Die gleiche Wohnung in Chelsea oder South Kensington wäre in dieser Größe nicht leistbar“. Georg erzählt mit einem Schmunzeln weiter: „Die Leute rümpfen oft die Nase bei dieser Adresse, aber wenn sie hierher in die Wohnung kommen, sind sie dann doppelt beeindruckt und begeistert“.
Georg hat es auch in London geschafft. Ein sechsseitiger Bericht in der Times, der ältesten englischen Tageszeitung, im Mai zeugt davon. Er lächelt und meint: „Ich habe hier nicht die Pressekontakte wie in Österreich oder Mailand. Dies ist mein erster großer publizistischer Schritt in England und dass es gleich die Times ist, ist natürlich schon großartig. Ich bin mir auch bewusst, dass eine so große publizistische Geschichte nicht mehr so schnell erfolgen wird können. Sechs Seiten mit tollen Fotos“. Georg ist zu Recht sehr stolz darauf.
Aesh&Tweed Collection
Ich hatte Glück, dass ich bei meinem Besuch seine neue Kollektion, die Aesh&Tweed Collection, zu sehen bekam, bevor sie Ende Mai auf der „Clerkenwell Design Week“ präsentiert wurde.
Aesh&Tweed besteht – wie der Name schon sagt – aus Eschenholz und schottischem Tweed. Die Kollektion – ein Sessel, ein Hocker und ein Couchtisch – wurde in seiner Heimat Tirol handgefertigt, wie
er mir begeistert erzählt. Das macht die Vermarkung aber nicht leicht, denn im Vergleich zu Osteuropa oder Asien ist diese schöne Handarbeit schon sehr teuer. Aber „If I may say so myself. I mogs
scho ganz gern“.
Georg erzählt von dem spannenden Moment, wenn er seine Pläne das erste Mal umgesetzt sieht. „I mog das Handwerk extrem gern“, kommt das Tirolerische zwischendurch stark durch. „Mir geht es darum, die Handwerker herauszufordern und gemeinsam mit ihnen zu arbeiten. Ich möchte sie anspornen, über ihren Tellerrand hinauszuschauen“. Mit seinem Tischler in Osttirol ist er sehr zufrieden: „Ich habe das Gefühl, er macht das gerne und genau so, wie ich es mir vorgestellt habe“.
In seiner ruhigen Art erzählt er mir, dass er sich gefreut hat, als er ein Foto von Aesh&Tweed in einer Tiroler Tageszeitung sah. „Es ist nicht so, dass ich mein Gesicht jeden Tag in der Zeitung sehen muss, aber die Beachtung meiner Arbeit, das Interesse daran sind mir natürlich wichtig. Als Kreativer schätze ich jegliches Feedback sehr.
Inspirationen und Style
„Ich denke, das meiste an Inspiration schöpfe ich nach wie vor aus dem Aufwachsen in den Bergen. Es hat ganz viel mit dem zu tun, dass man eine ästhetische Qualität in diesem Freiraum hat, und eine
Weite und eine Ruhe. Ich habe keinen bestimmten Style, bin aber schon leicht alpin beeinflusst, wenn nicht traditionell, so doch mit klaren Linien, sparsam im Dekor und ohne Schnickschnack“.
Ich „teste“ den Sessel der neuen Kollektion, während Georg darüber spricht, dass für Viele Sesseldesign als das Schwierigste gilt. „Für mich steht der Sitzkomfort an Stelle 1, der muss passen, erst danach fange ich an, über die Ästhetik oder das Aussehen nachzudenken. Es gibt so viele Sessel, die toll aussehen, aber oft macht ein halber Zentimeter mehr Sitzneigung es aus, dass man auch wirklich gut sitzt.“
Er erzählt schmunzelnd weiter, dass er und sein Freund ein Jahr gebraucht haben, bis sie die richtigen Sessel für ihr Esszimmer fanden. Seine Sessel fand er eher zufällig, als er in Miami eine Ausstellung besuchte. „Ich war müde, setzte mich hin und dachte mir: der ist super“.
Georg privat
Als ich ihn darauf anspreche, dass er sich seine Bodenständigkeit bewahrte, lächelt Georg: „Absolut. Aber das bleibt, wenn man in einem 500 Einwohner zählenden Dorf aufwächst“. Sport betreibt er nach
wie vor sehr viel. Er bedauert nur, dass er in London aufs Fitnessstudio reduziert ist und das weniger Spaß macht. Georg reitet auch sehr gerne, allerdings hat er es in London noch nicht geschafft.
„Ich hab meine Reitstiefel auf alle Fälle aus Österreich mitgebracht“.
Mit drei Worten beschreibt sich Georg als fröhlich, offen und interessiert.
Von Tirol vermisst er ganz klar seine Familie am meisten, aber auch die Natur. „Ich bin mir jetzt bewusst, wie glücklich die Wettersituation in Tirol ist. Sonnenschein im Sommer wie auch im Winter, kaum Nebel. Man ist rasch im Grünen oder am Berg mit atemberaubenden Ausblicken. Ja, Wetter und Landschaft vermisse ich schon.“
Dafür genießt er in London die Höflichkeit und die Offenheit der Menschen, dieses absolute Interesse an Neuem, an Exzentrischem und Schrägem. Im Gegensatz zu Österreich, wo man im Allgemeinen bloß nicht auffallen sollte. Ich werfe ein, dass wir jetzt immerhin Conchita Wurst haben. Georg lacht. „Ich bin ein großer Fan von Conchita Wurst von der ersten Stunde, es ist ein unglaubliches Signal und ich freu mich sehr, dass es in Österreich so einen Moment gab, der für Toleranz steht“.
Für seine berufliche Zukunft wünscht er sich: „Ich bin beruflich momentan sehr zufrieden. Ich sehe die glückliche Lage, in der ich gerade bin, auch als Chance, eine gewisse künstlerische
Freiheit zu nutzen und mich weiterzuentwickeln. Ich richte dabei im Moment meinen Fokus auf London und werde dazu sowohl Clerkenwell Design Week als auch das London Design Festival 2015 als Plattform
nutzen.
Privat wünscht er sich, dass „vielleicht nicht alles immer gleich bleibt, aber zumindest alles gleich gut wie im Moment.
Georgs Restaurant-/Bar-Tipps
Restaurant Ceviche – ein kleines peruanisches Restaurant in Soho. „Es ist unglaublich gut. Ich mag diese exotischen Geschmackseindrücke wie bei Fisch mit Mango und die lateinamerikanische Musik
dazu“.
Auf ein Gläschen geht er gerne ins „Friendly Society“, eine kleine Bar in Soho.