Einst und heute. Auf den Spuren jüdischer Kultur
Text und Fotos: Reinhard A. Sudy
Der 27. Jänner (2015) war ein guter Anlass, um in der steirischen Landeshauptstadt auf eine erste Spurensuche nach sichtbarer jüdischer Geschichte, Erinnerung und Kultur zu gehen. In kurzen Bild-Text-Geschichten erzähle ich von dem, was ich - immer wieder einmal - gefunden habe:
- Mahnmal. Lauftext von Catrin Bolt
- Kleiner Feuerwehrmann. Bronzeskulptur als Mahnmal
- Graz Museum: Jüdisches Leben in Graz
- Spuren in Graz
- Judentum in Graz. Daueraustellung
- Wohnhaus von David Herzog
- Synagoge
- Grabstein im Grazer Burghof
- Jüdischer Friedhof ...in Arbeit!
- Literatur, Links, Medien
- Fotogalerien
Catrin Bolts Lauftext auf den Gehsteigen als Mahnmal
Jänner 2025. Bei den November-Pogromen von 1938 wurde in Graz nicht nur die Synagoge in Brand gesteckt: es kam auch zu massiven Übergriffen gegen jüdische Mitbürger. Unter anderem wurde der damalige Oberrabbiner David Herzog nachts aus seiner Wohnung in der Radetzkystraße 8 geholt, auf offener Straße misshandelt und zu Fuß durch die Stadt getrieben.
Catrin Bolts Projekt Lauftext
Die Künstlerin Catrin Bolt hat dieses Ereignis durch die Gestaltung eines zeitgenössischen Mahnmals mit Hilfe des Mediums Schrift bereits 2013 aufgegriffen. Als temporäres Projekt wurde von ihr der Bericht von David Herzog als Lauftext auf den Gehsteigen entlang jener Strecke aufgetragen, die er 1938 zu Fuß durch die Stadt getrieben wurde. Dieser Weg führt uns von seiner damaligen Wohnung bis zum Griesplatz.
Nun wurde dieses Projekt Lauftext am 8. Juli 2024 weidereröffnet, das uns von der Innenstadt über die Radetzkybrücke und vorbei an der Syangoge bis zum Griesplatz bringt.
Quellen:
- Universalmuseum Joanneum, Stabsstelle Kommunikation Presseinformation vom 8. Juli 2024
- www.kiör.at
Der Feuerwehrmann vor der Synagoge Graz.
Eine kleine Bronzeskulptur als Mahnmal
Im Rahmen des von der Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) initiierten und finanzierten Projekts Remember Me lud das Graz Museum elf Schüler der HTL Ortweinschule/Abteilung Bildhauerei Objektdesign Restaurierung ein, sich mit der Ausstellung Jüdisches Leben in Graz auseinanderzusetzen und mit Betreuung der Lehrenden individuelle Denkmäler für konkrete Orte des jüdischen Lebens in Graz zu entwickeln.
Ideenvielfalt für "Denkmäler"
Mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen entstanden im Rahmen des Projektes neue und ungewohnte Blickwinkel auf das jüdische Leben in Graz und wertvolle Beiträge lokaler Erinnerungskultur. Die jungen Künstler entwickelten innovative Arbeiten, die von einem Video und der Gestaltung eines realen Brettspiels über Installationen und Sticker im öffentlichen Raum bis zu architektonischen Formationen reichten. Als Präsentationsort der als Modelle und Fotomontagen visualisierten Arbeiten wählte man das Foyer von Jüdisches Leben in Graz.
Feuerwehrmann als Mahner
Eine dieser Installationen wurde dann tatsächlich im öffentlichen Stadtraum verwirklicht: Die Bronzefigur eines Feuerwehrmanns von Peter Roskaric (* 2004) erinnert an die Novemberpogrome im Jahr 1938, als in der Nacht von 9. auf 10. November die Grazer Synagoge nach einem Anschlag vollkommen niederbrannte. Verantwortlich für die Realisierung der kleinen Skulptur, die am 7. November 2023 eröffnet wurde, war das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark.
Der nur 44 cm große Bronzeguss eines Feuerwehrmanns, gekleidet in der zeitgenössischen Uniform der 1920er-/30er-Jahre, steht stramm und unbeteiligt ganz oben auf einem Verkehrsmasten gleich gegenüber der Synagoge am David-Herzog-Platz 1. Eigentlich ist er ein Synonym für Hilfsbereitschaft, beobachteten die Feuerwehrleute in der Nacht der Pogrome den Synagogenbrand tatenlos und verhinderten nur das Übergreifen des Feuers auf nahe liegende Gebäude. Beinahe unscheinbar legt der Feuerwehrmann mahnend Zeugnis über die Ereignisse jener Nacht ab und erinnert stumm an die Gräuel des Nationalsozialismus.
Standort: gegenüber der Synagoge Graz auf einem Verkehrsmasten
David-Herzog-Platz 1
8010 Graz
Erneuerung des Lauftext-Mahnmal von 2013
Schon 2013 realisierte das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark die 2021 erneuerte Installation Lauftext der Künstlerin Catrin Bolt, die sich mit den Ausschreitungen der Novemberpogrome im Jahr 1938 auseinandersetzt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannte die Grazer Synagoge nach einem Anschlag vollkommen nieder, Jüdinnen und Juden wurden misshandelt und deportiert, ihre Wohnungen geplündert. Einem zeitgenössischen Bericht des Oberrabbiners David Herzog folgend, brachte die Künstlerin dessen Schilderungen als Buchstaben entlang jener Straße in Richtung Synagoge auf, die er von SS-Männern entlang getrieben wurde.
Mit der Installation der Feuerwehrmannfigur verhält die Stadt Graz nun ein zweites Mahnmal, das sich mit diesen ersten massiven öffentlichen Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung auseinandersetzt und einen wesentlichen Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur leistet.
Quellen:
- Universalmuseum Joanneum, Stabsstelle Kommunikation Presseinformation vom 7. November 2023
- www.kiör.at
Graz Museum. Ausstellung "Jüdischen Leben in Graz"
2022. In Zusammenarbeit mit der Jüdischen Kultusgemeinde Graz und dem Centrum für Jüdische Studien an der Uni Graz entstand diese Ausstellung des Graz Museums.
Sie widmet sich der Geschichte der jüdischen Bevölkerung von ihrer ersten urkundlichen Erwähnung (1147 Steiermark, 1261 Graz) bis in die Gegenwart und möchte die Vielfalt der jüdische Identität vermitteln.
Da durch die wiederholten Vertreibungen und die Vernichtung jüdischen Lebens Vieles verloren ging, begibt sich die Ausstellung auf eine Spurensuche nach jüdischen Menschen, Räumen und Lebensbedingungen.
Wesentliche Themen sind der Alltag in der mittelalterlichen Stadt und die Vertreibungen, die eine lange Abwesenheit jüdischen Lebens bis ins 19. Jahrhundert bewirken. Darauf folgt die allmähliche Einräumung von Rechten, sodass sich Juden und Jüdinnen wieder in Graz ansiedeln und ein reges Gemeinwesen aufbauen können. Das Novemberpogrom 1938 leitet die nationalsozialistische Aneignung und Zerstörung jüdischer Lebenswelten und schließlich die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Grazer und Grazerinnen ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg stehen die Rückkehr von Juden und Jüdinnen nach Graz, der Wiederaufbau der Gemeinde und die Bewältigung der Vergangenheit im Fokus.
Jüdisches Leben in Graz
26. Oktober 2022 bis 27. August 2023
Graz Museum
Sackstraße 18, A-8010 Graz
T +43 316 872-7600
E grazmuseum@stadt.graz.at
Auf Spurensuche in Graz
Judentum in Graz | Erbe – Gegenwart – und Zukunft
2018. Mit diesem Titel wurde im Oktober 2018 eine Dauerausstellung der Jüdischen Gemeinde eröffnet wurde. Sie gibt einen interessanten Einblick in das einstige und heutige Gemeindeleben, zeigt aber auch Ritualgegenstände wie Thorakronen oder den ältesten jüdischen Grabstein aus dem 14. Jahrhundert. 65 fotografische Aufnahmen bilden in einem Schwarz-Weiß-Teil die jüdische Geschichte der Stadt Graz vom Mittelalter bis zur Gegenwart ab und widmen sich in einem Farbteil der jüdischen Glaubenspraxis.
Quelle: Martina Maros-Goller: Neue Dauerausstellung: Judentum in Graz, 21. Oktober 2018. In: www.meinbezirk.at/graz Jüdische Gemeinde Graz: Neue Dauerausstellung: Judentum in Graz - Graz
Wohnhaus. Radetzkystraße 8
2017. In diesem Haus lebte und arbeitete der Landesrabbiner von Steiermark und Kärnten, Dr. David Herzog (1869 Trnava - 1946 Oxford).
Gedenktafel zur Erinnerung
Die Gedenktafel an der Hausfassade des Wohnhauses erinnert ebenso an den von 1908 bis zu seiner Emigration 1938 in Graz tätigen Landesrabbiner wie der unauffällige David-Herzog-Platz, an dem die Synagoge wiedererrichtet worden ist.
Text der Inschrift
kommt demnächst!
Grazer Synagoge
2016. Die erste Synagoge am Grieskai wurde 1892 eingeweiht. Rund 9600 Ziegel dieser 1938 zerstörten und niedergebrannten Synagoge fanden gemeinsam mit neuen Ziegeln, Stahlbeton und Glas Verwendung bei der Wiedererrichtung der Grazer Synagoge. Die Planung des Architektenehepaares Jörg und Ingrid Mayr folgte damit der Grundidee: „Die neue Synagoge erhebt sich aus den Ruinen der alten ...". Am kleinen, eigentlich leider nicht merkbaren David-Herzog-Platz an der südlichen Kreuzungsecke von Grieskai und Zweiglgasse erhebt sich heute über dem geometrisch orientierten, massiven Grundkörper die schlichte Konstruktion einer schönen Glaskuppel. Den besten Blick auf den eigenwillig-schönen Baukomplex und seine Einbettung in die Gebäudefolge am westlichen Murufer hatte ich, als ich mich über die Augarten-Brücke näherte.
Grabstein. Burghof
2016. Ein eher zufällig ins öffentliche Bewußtsein gerückter Grabstein mit hebräischen Schriftzeichen im Grazer Burghof hat 1998 einen Ehrenplatz bekommen. Das Kleinod ist nun gut sichtbar in einer Mauernische gegenüber der gotischen Wendeltreppe untergebracht. Einer wissenschaftlichen Arbeit des Landesrabbiners David Herzog aus 1927 zufolge stammt der Grabstein für den Rabbi Nissim aus 1387.
Text der Inschrift
"Zum Klagelaut ward meine Zither, zum lauten Weinen ward mein Lied, denn hingeschieden ist mein Vater, mein Lehrer, Rabbi Nissim, Sohn des Rabbi Aaron, der in seine Ewigkeit eingegangen ist am 5. Tag der Woche, am 10. des Monats Tammus. Im Jahre 147 des 6. Jahrtausends*. Möge seine Seele eingebunden sein im Bunde des Lebens. Amen"
* nach unserer Zeitrechnung ist das der 17. Juni 1387 gewesen.
Grabsteine als Baumaterial
Das jüdische Viertel war einst in der südwestlichen Herrengasse, gegenüber der heutigen Stadtpfarrkirche, und im 15. Jahrhundert waren von den damals 5000 Grazern etwa 200 Juden. Eine erste Judenvertreibung 'zu ewigen Zeiten' aus Graz bzw. der Steiermark erfolgte 1496 unter dem Landesfürsten und späteren Kaiser Maximilian I.. Nach der zweiten 1570 wurde auch der Jüdische Friedhof aufgelassen und Grabsteine sind als Baumaterial verwendet worden. Kurios ist, dass der Grabstein von Rabbi Nissim bereits ein sichtbarer Mauerteil im ersten Innenhof der Grazer Burg gewesen ist, als der NS-Gauleiter Sigfried Uiberreither hier eine Zeitlang in residierte.
Quelle: Vojo Radkovic: Der vergessene Grabstein. In: derGrazer vom 16. Februar 2014. Seite 10.
Jüdischer Friedhof
2016/2018. Leider ist die Friedhofsanlage aus Sicherheitsgründen nicht frei zugänglich. Durch die mit Ketten gesicherten Gittertore konnte ich aber einen ersten Blick auf die wie im Dornröschenschlaf liegende Grabanlage werfen. Der Schlüssel für den Eingang kann aber im Sekretariat der IKV Graz am David Herzog Platz 1 abgeholt werden.
Noch immer in Arbeit!
Fotos
Literatur, weiterführende Webseiten und Medienberichte
Gerald Lamprecht (Hrsg.). Jüdisches Leben in der Steiermark
2015. Historiker und Kulturwissenschaftler präsentieren eine Sammlung von Beiträgen zur steirisch-jüdischen Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Markus J. Wenninger, Stephan Laux, Hermann Kurahs, Michael Schiestl, Gerald Lamprecht, Heimo Halbrainer, Robert Breitler, Eduard G. Staudinger, Dieter A. Binder, Gertraud F. Strempfl und Eleonore Lappin.
Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung - Auslöschung - Annäherung.
Studien Verlag. Schriften des Centrums für Jüdische Studien Band 5. 294 Seiten. € 34,90.
Wolfgang Sotill. Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit
2001/2022. Auf der Rückseite der Buchhülle steht - zweisprachig (deutsch und englisch) wie das ganze Buch: "Sie leben mit uns, teilen mit uns eine lange gemeinsame Geschichte, und doch werden sie noch immer argwöhnisch beäugt: die Juden. Lesen Sie im vorliegenden Buch, wie sie Graz seit dem Mittelalter wirtschaftlich und baugeschichtlich geprägt haben und warum sie dennoch mehrfach aus der Stadt vertrieben wurden. Tauchen Sie auch in die religiöse Welt des Judentums ein, das mit der neu errichteten Synagoge erstmals seit 1938 im Stadtbild wieder sichtbar wird."
Und anstelle zweier Vorworte gibt es ein Gespräch der beiden Herausgeber dieses Buches: Konsul Kurt David Brühl, damals Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Graz (IKG) und DI Helmut Strobl, damals Grazer Kulturstadtrat., über die steirische Landeshauptstadt und das politische Klima seit 1945.
Dann spannt das umfangreiche Werk des Autors einen dichten, ungemein informativen und vielschichtigen Bogen über Religion, Geschichte, Wirtschtaft und Politik:
- Die Synagoge
- Ansiedlung und Vertreibung
- Wiederkehr und Katastrophe
- Ein Neubeginn
- Betrachtungen
Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger.
Herausgegeben von Kurt D. Brühl und Helmut Strobl.
Mit einem Beitrag von Elisabeth Welzig und Bildern von Christian Jungwirth.
Ins Englische übersetzt von James Jolly.
Verlag Styria 2001. 248 Seiten.
www.ikg-graz.at | Israelitischer Kultusverein Graz
www.juedischegemeinde-graz.at | Jüdische Gemeinde Graz
Medienberichte
- Lamprecht, Gerald: “Der Jud muss weg, sein Gerstl bleibt da!” In: Kleine Zeitung, Sonntag, Der “Anschluss” Österreichs, 11. März 2018, Seite 26 – 29