Einst und heute. Auf den Spuren jüdischer Kultur

Text und Fotos: Reinhard A. Sudy

Der 27. Jänner (2015) war ein guter Anlass, um in der steirischen Landeshauptstadt auf eine erste Spurensuche nach sichtbarer jüdischer Geschichte, Erinnerung und Kultur zu gehen. In kurzen Bild-Text Geschichten erzähle ich von dem, was ich gefunden habe: 

  • Graz Museum: Jüdisches Leben in Graz
  • Dauerausstellung: Judentum in Graz ??
  • Grabstein im Grazer Burghof
  • Jüdischer Friedhof ...in Arbeit!
  • Synagoge
  • Wohnhaus von David Herzog
  • Fotogalerie, Links und Literatur
Die 44 cm große Bronzefigur blickt auf die Grazer Synagoge - als Erinnerung an die Novemberpogrome. Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
Jakob Bock (Lehrer Ortweinschule), Kathrin Lauppert-Scholz (Kulturvermittlung Granatapfel), Martin Hörl (Abteilungsvorstand Ortweinschule), Jasmin Haselsteiner-Scharner (KiöR), Peter Roskaric (Künstler), Günter Riegler (Stadtrat), Elie Rosen (Präsident Jü
 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Feuerwehrmann als stiller Betrachter soll an die Novemberpogrome erinnern

 

Graz, am 07.11.2023

 

Im Rahmen des Projekts Remember Me, welches durch die Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) initiiert und finanziert wurde, lud das Graz Museum elf Schüler*innen der HTL Ortweinschule/Abteilung Bildhauerei Objektdesign Restaurierung ein, sich intensiv mit der Ausstellung Jüdisches Leben in Graz auseinanderzusetzen und mit Betreuung der Lehrenden individuelle Denkmäler für konkrete Orte des jüdischen Lebens in Graz zu entwickeln.

Eine dieser Installationen, die Bronzefigur eines Feuerwehrmanns, der an die Novemberpogrome im Jahr 1938 erinnert, als in der Nacht von 9. auf 10. November die Grazer Synagoge nach einem Anschlag vollkommen niederbrannte, wird nun vor der Synagoge eröffnet. Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark ist für die Realisierung der Skulptur verantwortlich.

 

Ein Denkmal der anderen Art

Mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen erstellt, entstanden im Rahmen des Projektes neue und ungewohnte Blickwinkel auf das jüdische Leben in Graz und wertvolle Beiträge lokaler Erinnerungskultur. Dabei entwickelten die jungen Künstler*innen vielfältige und innovative Arbeiten, die von einem Video und der Gestaltung eines realen Brettspiels über Installationen und Sticker im öffentlichen Raum bis zu architektonischen Formationen reichten. Bei sämtlichen Arbeiten wurde ein neuer Denkmalbegriff jenseits des klassischen Sockel-Figur-Monuments auf kreative Weise ausgelotet und erprobt. Als Präsentationsort der Arbeiten, die als Modelle und Fotomontagen visualisiert wurden, wählte man das Foyer von Jüdisches Leben in Graz, womit man den Schüler*innen einen konkreten Ort zur Aufstellung und damit einen gelungenen Auftakt in die Ausstellung bot. Eine dieser Installationen wird nun tatsächlich im öffentlichen Stadtraum verwirklicht.

 

Schon 2013 realisierte das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark die 2021 erneuerte Installation Lauftext der Künstlerin Catrin Bolt, die sich mit den Ausschreitungen der Novemberpogrome im Jahr 1938 auseinandersetzt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannte die Grazer Synagoge nach einem Anschlag vollkommen nieder, Jüdinnen und Juden wurden misshandelt und deportiert, ihre Wohnungen geplündert. Einem zeitgenössischen Bericht des Oberrabbiners David Herzog folgend, brachte die Künstlerin dessen Schilderungen als Buchstaben entlang jener Straße in Richtung Synagoge auf, die er von SS-Männern entlang getrieben wurde.

 

Der Feuerwehrmann

Mit der Installation der Feuerwehrmannfigur von Peter Roskaric (* 2004) erhält die Stadt Graz nun ein zweites Mahnmal, das sich mit diesen ersten massiven öffentlichen Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung auseinandersetzt und einen wesentlichen Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur leistet. Auch diese Arbeit fordert in zeitgemäßer Sprache nicht Repräsentation und monumentale Überhöhung, sondern die Betrachter*innen zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Inhalt auf.

 

Der nur 44 cm große Bronzeguss eines Feuerwehrmanns, gekleidet in der zeitgenössischen Uniform der 1920er-/30er-Jahre, steht stramm und unbeteiligt auf einem Verkehrsmasten gegenüber der Synagoge. Eigentlich ein Synonym für Hilfsbereitschaft, beobachteten die Feuerwehrleute in der Nacht der Pogrome den Synagogenbrand tatenlos und verhinderten nur das Übergreifen des Feuers auf nahe liegende Gebäude. Zurückgenommen und beinahe unscheinbar legt der Feuerwehrmann mahnend Zeugnis über die Ereignisse jener Nacht ab und erinnert stumm an die Gräuel des Nationalsozialismus.

 

Am 7. November 2023 wurde die Bronzeskulptur des Feuerwehrmanns vor der Synagoge Graz eröffnet. Die Verantwortlichen und Beteiligten nehmen in ihren Wortspenden nicht nur Bezug auf das Gedenken an die Novemberpogrome, sondern auch auf das aktuelle Blutvergießen.

 

 

Quelle: 

Ein Feuerwehrmann als stiller Betrachter soll an die Novemberpogrome erinnern

Graz, am 07.11.2023

 

 

Universalmuseum Joanneum, Stabsstelle Kommunikation

Mariahilferstraße 4, 8020 Graz

 

 

Peter Roskaric
Der Feuerwehrmann 

Ort: vor der Synagoge Graz, David-Herzog-Platz 1, 8010 Graz

www.kiör.at

 

2022. In Zusammenarbeit mit der Jüdischen Kultusgemeinde Graz und dem Centrum für Jüdische Studien an der Uni Graz entstand diese Ausstellung des Graz Museums.

Sie widmet sich der Geschichte der jüdischen Bevölkerung von ihrer ersten urkundlichen Erwähnung (1147 Steiermark, 1261 Graz) bis in die Gegenwart und möchte die Vielfalt der jüdische Identität vermitteln.

Da durch die wiederholten Vertreibungen und die  Vernichtung jüdischen Lebens Vieles verloren ging, begibt sich die Ausstellung auf eine Spurensuche nach jüdischen Menschen, Räumen und Lebensbedingungen. 

 

Wesentliche Themen sind der Alltag in der mittelalterlichen Stadt und die Vertreibungen, die eine lange Abwesenheit jüdischen Lebens bis ins 19. Jahrhundert bewirken. Darauf folgt die allmähliche Einräumung von Rechten, sodass sich Juden und Jüdinnen wieder in Graz ansiedeln und ein reges Gemeinwesen aufbauen können. Das Novemberpogrom 1938 leitet die nationalsozialistische Aneignung und Zerstörung jüdischer Lebenswelten und schließlich die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Grazer und Grazerinnen ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg stehen die Rückkehr von Juden und Jüdinnen nach Graz, der Wiederaufbau der Gemeinde und die Bewältigung der Vergangenheit im Fokus.

 

Jüdisches Leben in Graz

26. Oktober 2022 bis 27. August 2023 

Graz Museum
Sackstraße 18. A-8010 Graz

T     +43 316 872-7600
E     grazmuseum@stadt.graz.at

W    www.grazmuseum.at  

Judentum in Graz | Erbe – Gegenwart – und Zukunft

 

2018. Mit diesem Titel wurde im Oktober 2018 die Dauerausstellung der Jüdischen Gemeinde eröffnet wurde. Diese umfasst insgesamt 65 fotografische Aufnahmen, die in einem Schwarz-Weiß-Teil einerseits die jüdische Geschichte der Stadt Graz vom Mittelalter bis zur Gegenwart abbilden, in einem anderen Farbteil andererseits sich der jüdischen Glaubenspraxis widmen. 150 Personen aus dem öffentlichen Leben nahmen an der Eröffnung teil. Hausherr und Präsident Elie Rosen hob hervor, mit der Ausstellung ein lebendiges, buntes und facettenreiches Judentum in Graz vermittelt.

Wohnhaus. Radetzkystraße 8

 

2017. In diesem Haus lebte und arbeitete der Landesrabbiner von Steiermark und Kärnten, Dr. David Herzog (1869 Trnava - 1946 Oxford).

 

Gedenktafel zur Erinnerung

Die Gedenktafel an der Hausfassade des Wohnhauses erinnert ebenso an den von 1908 bis zu seiner Emigration 1938 in Graz tätigen Landesrabbiner wie der unauffällige David-Herzog-Platz, an dem die Synagoge wiedererrichtet worden ist.

 

Text der Inschrift

 

kommt demnächst!

Grabstein. Burghof

 

2016. Ein eher zufällig ins öffentliche Bewußtsein gerückter Grabstein mit hebräischen Schriftzeichen im Grazer Burghof hat 1998 einen Ehrenplatz bekommen. Das Kleinod ist nun gut sichtbar in einer Mauernische gegenüber der gotischen Wendeltreppe untergebracht. Einer wissenschaftlichen Arbeit des Landesrabbiners David Herzog aus 1927 zufolge stammt der Grabstein für den Rabbi Nissim aus 1387.

 

Text der Inschrift

"Zum Klagelaut ward meine Zither, zum lauten Weinen ward mein Lied, denn hingeschieden ist mein Vater, mein Lehrer, Rabbi Nissim, Sohn des Rabbi Aaron, der in seine Ewigkeit eingegangen ist am 5. Tag der Woche, am 10. des Monats Tammus. Im Jahre 147 des 6. Jahrtausends*. Möge seine Seele eingebunden sein im Bunde des Lebens. Amen"

* nach unserer Zeitrechnung ist das der 17. Juni 1387 gewesen.

 

Grabsteine als Baumaterial

Das jüdische Viertel war einst in der südwestlichen Herrengasse, gegenüber der heutigen Stadtpfarrkirche, und im 15. Jahrhundert waren von den damals 5000 Grazern etwa 200 Juden. Eine erste Judenvertreibung 'zu ewigen Zeiten' aus Graz bzw. der Steiermark erfolgte 1496 unter dem Landesfürsten und späteren Kaiser Maximilian I.. Nach der zweiten 1570 wurde auch der Jüdische Friedhof aufgelassen und Grabsteine sind als Baumaterial verwendet worden. Kurios ist, dass der Grabstein von Rabbi Nissim bereits ein sichtbarer Mauerteil im ersten Innenhof der Grazer Burg gewesen ist, als der NS-Gauleiter Sigfried Uiberreither hier eine Zeitlang in residierte.

 

  

Quelle: Vojo Radkovic: Der vergessene Grabstein. In: derGrazer vom 16. Februar 2014. Seite 10.

Grazer Synagoge

 

2016. Die erste Synagoge am Grieskai wurde 1892 eingeweiht. Rund 9600 Ziegel dieser 1938 zerstörten und niedergebrannten Synagoge fanden gemeinsam mit neuen Ziegeln, Stahlbeton und Glas Verwendung bei der Wiedererrichtung der Grazer Synagoge. Die Planung des Architektenehepaares Jörg und Ingrid Mayr folgte damit der Grundidee: „Die neue Synagoge erhebt sich aus den Ruinen der alten ...". Am kleinen, eigentlich leider nicht merkbaren David-Herzog-Platz an der südlichen Kreuzungsecke von Grieskai und Zweiglgasse erhebt sich heute über dem geometrisch orientierten, massiven Grundkörper die schlichte Konstruktion einer schönen Glaskuppel. Den besten Blick auf den eigenwillig-schönen Baukomplex und seine Einbettung in die Gebäudefolge am westlichen Murufer hatte ich, als ich mich über die Augarten-Brücke näherte. 

Jüdischer Friedhof

 

2016/2018. Leider ist die Friedhofsanlage aus Sicherheitsgründen nicht frei zugänglich. Durch die mit Ketten gesicherten Gittertore konnte ich aber einen ersten Blick auf die wie im Dornröschenschlaf liegende Grabanlage werfen. Der Schlüssel für den Eingang kann aber im Sekretariat der IKV Graz am David Herzog Platz 1 abgeholt werden.

 

 

Noch immer in Arbeit!

Literatur, Fotos und weiterführende Webseiten

Gerald Lamprecht (Hrsg.). Jüdisches Leben in der Steiermark

 

2015. Historiker und Kulturwissenschaftler präsentieren eine Sammlung von Beiträgen zur steirisch-jüdischen Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Markus J. Wenninger, Stephan Laux, Hermann Kurahs, Michael Schiestl, Gerald Lamprecht, Heimo Halbrainer, Robert Breitler, Eduard G. Staudinger, Dieter A. Binder, Gertraud F. Strempfl und Eleonore Lappin.

 

Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung - Auslöschung - Annäherung.

Studien Verlag. Schriften des Centrums für Jüdische Studien Band 5. 294 Seiten. € 34,90.

Wolfgang Sotill. Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit

 

2001/2022. Auf der Rückseite der Buchhülle steht - zweisprachig (deutsch und englisch) wie das ganze Buch: "Sie leben mit uns, teilen mit uns eine lange gemeinsame Geschichte, und doch werden sie noch immer argwöhnisch beäugt: die Juden. Lesen Sie im vorliegenden Buch, wie sie Graz seit dem Mittelalter wirtschaftlich und baugeschichtlich geprägt haben und warum sie dennoch mehrfach aus der Stadt vertrieben wurden. Tauchen Sie auch in die religiöse Welt des Judentums ein, das mit der neu errichteten Synagoge erstmals seit 1938 im Stadtbild wieder sichtbar wird."

 

Und anstelle zweier Vorworte gibt es ein Gespräch der beiden Herausgeber dieses Buches: Konsul Kurt David Brühl, damals Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Graz (IKG) und DI Helmut Strobl, damals Grazer Kulturstadtrat., über die steirische Landeshauptstadt und das politische Klima seit 1945.

 

Dann spannt das umfangreiche Werk des Autors einen dichten, ungemein informativen und vielschichtigen Bogen über Religion, Geschichte, Wirtschtaft und Politik:

  • Die Synagoge
  • Ansiedlung und Vertreibung
  • Wiederkehr und Katastrophe 
  • Ein Neubeginn
  • Betrachtungen

 

Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger.

Herausgegeben von Kurt D. Brühl und Helmut Strobl.

Mit einem Beitrag von Elisabeth Welzig und Bildern von Christian Jungwirth.

Ins Englische übersetzt von James Jolly.

Verlag Styria 2001. 248 Seiten.

Medienberichte

  • Lamprecht, Gerald: “Der Jud muss weg, sein Gerstl bleibt da!” In: Kleine Zeitung, Sonntag, Der “Anschluss” Österreichs, 11. März 2018, Seite 26 – 29

www.ikg-graz.at | Israelitischer Kultusverein Graz

 

www.juedischegemeinde-graz.at | Jüdische Gemeinde Graz

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